Die Digitalisierung schreitet in allen Arbeitsbereichen voran, so auch in den Pflegefachberufen. Zunehmend werden Robotik, robotische Systeme, assistive Technologien, E-Health-Werkzeuge und telemedizinische Produkte in die gesundheitliche und pflegerische Versorgung integriert. Die Digitalisierung in der Pflegebranche kann mit ihren neuen Technologien einen Mehrwert für Pflegefachpersonen und Pflegebedürftige bieten, sie erfordert jedoch auch zusätzliche Kompetenzen, die aber derzeit in der Pflegeausbildung und in Weiterbildungen noch nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Das Projekt „T-Nugd (Telenursing – Nursing goes digital)“ der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften hat sich eine bedarfsgerechte Entwicklung, Erprobung sowie Evaluation eines wissenschaftlichen Weiterbildungsangebots im Bereich der Telemedizin/Telepflege zum Ziel gesetzt. In Kombination von E-Learning, Präsenzveranstaltungen und praktischen Simulationen sollen Pflegende in einer flexiblen wissenschaftlichen und praxisnahen Qualifizierung digitale Kompetenzen erlangen. Hierbei unterstützt die NBank T-Nugd mit einer Förderung im ESF-Programm „Öffnung von Hochschulen“.Wir haben mit den im Projekt tätigen wissenschaftlichen Mitarbeitenden Dr. Frauke Stenzel, André Heitmann-Möller und Stina-Katharina Treseler über die Komplexität der Digitalisierung innerhalb des deutschen Gesundheitssystems, die methodischen Besonderheiten ihres Weiterbildungsangebots im Blended Learning-Format und über die wichtigsten Erfahrungen im ersten Projektjahr gesprochen.
Die Digitalisierung hält zunehmend Einzug in die gesundheitliche und pflegerische Versorgung durch z.B. Integration von Robotik, assistive Technologien, E-Health-Werkzeuge und telemedizinische Produkte. Wie kann eine bedarfsgerechte Nutzung von Digitalisierung die Pflegeprofessionen in der Durchführung ihrer täglichen Arbeit unterstützen?
Stina-Katharina Treseler: Die Frage, die wir vielmehr sehen ist, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, damit eine bedarfsgerechte Nutzung von Digitalisierung durch die Pflegeprofessionen möglich ist und welche Bereiche ihrer täglichen Arbeit unterstützt werden sollen. Denn darauf gibt es noch keine abschließenden Antworten. Bisher sind die Bemühungen Digitalisierung und Pflege zu vereinen eher in einem Projekt-/Erprobungsstadium, als dass es sich um flächendeckende und adaptierbare Lösungen handelt. Das hat natürlich verschiedene Gründe.
André Heitmann-Möller: Unter anderem sind noch nicht alle Voraussetzungen getroffen worden, um insbesondere assistive Technologien oder E-Health-Werkzeuge zum Einsatz zu bringen, da es an einer guten, den lokalen Handlungszusammenhang übersteigenden, Datenbasis fehlt, mit deren Hilfe erst eine bedarfsgerechte Nutzung durch Pflegefachpersonen erfolgen kann, wenn diese entsprechend weitergebildet wurden. Generell bedarf es beim Einsatz digitaler Technologie einer Klärung des rechtlichen Rahmens, insbesondere des Datenschutzes und einer Verankerung im Leistungsrecht, damit die Pflegeleistungen im Zusammengang mit digitalen Technologien abgerechnet werden können. Hinzu kommt, dass vor all diesem eine Definition von guter professioneller Pflege entwickelt werden muss. Denn diese ist die Grundlage dafür, Aussagen über die Sinnhaftigkeit und Qualität von digitalen Technologien in der Pflege treffen zu können. Damit einher geht zu klären, welche Rolle bzw. Stellung die digitalen Technologien im Gesamtprozess haben. Das ist eine Frage, welcher sich unsere bevorstehende Online-Konferenz zum Thema „Professionelle Pflege und ihre digitalen Helfer“ am 12.11.2021 stellt.
Nicht erst die Corona-Krise hat den entscheidenden Mehrwert der Digitalisierung und die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels im deutschen Gesundheitssystem gezeigt. Wie trägt Ihr Projekt T-Nugd dem Rechnung?
André Heitmann-Möller: Die Digitalisierung innerhalb des deutschen Gesundheitssystems ist ein komplexes Vorhaben, welches ganzheitlich betrachtet werden muss. Das bedeutet auch, dass Technik allein keinen digitalen Wandel bringt. Es bedarf einer nachhaltigen Implementierung von technischen Anwendungen, welche die organisationalen Bedingungen und Abläufe ebenso einbezieht, wie rechtliche Bestimmungen und Finanzierungen. Eine besonders wichtige und oft vernachlässigte Voraussetzung für einen Paradigmenwechsel im Gesundheitssystem ist darüber hinaus die Einbeziehung der Akteurinnen und Akteure. Genau dem trägt das Projekt T-Nugd Rechnung.
Dr. Frauke Stenzel: Das gleichnamige wissenschaftliche Weiterbildungsprogramm, welches im Projekt entwickelt, erprobt und evaluiert wird, adressiert Pflegefachpersonen und eröffnet ihnen einen Raum, sich kritisch mit den Möglichkeiten der Digitalisierung in ihren jeweiligen Handlungsfeldern auseinanderzusetzen, die aktuellen Entwicklungen und den rechtlichen Rahmen zu kennen sowie die eigene digitale Kompetenz zu erweitern und diese im Berufsalltag einzusetzen. Dazu wurden drei Module entwickelt, wobei Modul 1 das Clinical Assessment/Clinical Reasoning im Fokus hat und damit u.a. die Dokumentation mittels elektronischer Gesundheitsakte, Pflegeberichte sowie Befundberichte. Im Modul 2 geht es hingegen um die Digitalisierung in der Pflege, insbesondere um die Rahmenbedingungen beim Einsatz von IT und pflegerelevanten IT-Anwendungen. Das Modul 3 Telenursing/Telemedizin befasst sich u.a. mit relevanter Informationstechnik und videobasierter Gesprächstechnik.
Was sind die methodischen Besonderheiten Ihrer Weiterbildung? Viele Ihrer Teilnehmenden haben auch andere Verpflichtungen. Wie lassen sich diese mit der wissenschaftlichen Weiterbildung an der Ostfalia vereinbaren?
Dr. Frauke Stenzel: Insgesamt strebt das Projektvorhaben T-Nugd an, eine entscheidende Lücke im Weiterbildungsbedarf pflegerischer Berufsgruppen zu schließen und für nicht traditionell Studierende aus der Pflege den Weg an die Hochschule zu ebnen. Um dieser Zielgruppe gerecht zu werden, setzt T-Nugd ganz bewusst auf ein Blended Learning-Format, im Speziellen auf die Methode des Flipped Classrooms. Bei diesem Ansatz erarbeiten sich die Teilnehmenden die Lerninhalte in den begleitenden E-Learning-Phasen selbst. Das bedeutet, dass sie die Zeiten des Selbststudiums frei gestalten können und so eine Vereinbarkeit mit anderen Verpflichtungen verbessert werden kann. Die Präsenz- und Kontaktzeiten werden genutzt, um die Inhalte zu vertiefen und eine Übertragung in den Berufsalltag anzuregen. Zusätzlich ist ein Tandem Learning konzipiert worden, um den Pflegefachpersonen ihren Einstieg in den Kontext Hochschule zu erleichtern. Dafür wurden zwischen den Weiterbildungsteilnehmenden Tandems gebildet, welche sich in regelmäßigen Abständen für 30 Minuten online treffen und einen Impuls in Form eines Arbeitsauftrags besprechen. Die Impulse wurden seitens des Projektteams auf der Grundlage der Forschungsergebnisse zur Studieneingangsphase konzipiert und sprechen die Aspekte an, die zu Beginn eines Studiums als herausfordernd wahrgenommen werden.
Was sind Ihre wichtigsten Erfahrungen im ersten Projektjahr? Welche „Corona-Auswirkungen“ erforderten eine Umsteuerung in Ihrem Projektkonzept?
Stina-Katharina Treseler: Eine wichtige Erfahrung ist, dass das Thema Digitalisierung in den Pflegeberufen sehr aktuell ist und auf offene Türen stößt. Viele Teilnehmende der Weiterbildung stehen vor der Herausforderung Konzepte zur Digitalisierung zu schreiben und umzusetzen. Sie haben sich in dem Zusammenhang bewusst für die Weiterbildung entschieden, um ein besseres Verständnis für digitale Prozesse und Möglichkeiten zu erhalten und neue Impulse für die Praxis zu bekommen. Außerdem wirkt es auf uns so, dass sich infolge der Pandemiemaßnahmen viele Menschen mit dem Thema der Digitalisierung in ihrem Arbeitsumfeld, aber auch in ihrem privaten Umfeld, stärker auseinandersetzen mussten. Diese Entwicklung strahlt auch auf das Arbeitsfeld der Pflege aus und fordert von den Pflegefachpersonen sich damit auseinanderzusetzen.
Dr. Frauke Stenzel: Unser Projektkonzept fundierte hinsichtlich der Lehre von Anfang an auf einem Blended Learning-Konzept, wobei sich Online- und Präsenzveranstaltungen in zwei Modulen abwechseln und ein Modul komplett digital stattfindet. Mit dem Start des ersten Moduls im September 2021 konnten wir die erste Präsenzveranstaltung unter Einhaltung der aktuellen Hygienepläne des Landes/der Hochschule glücklicherweise wie geplant durchführen. Es waren also diesbezüglich keine Änderungen zur ursprünglichen Planung notwendig.
Welche Resonanz hat Ihr Projekt bislang von Teilnehmenden, Einrichtungen, Betrieben und Organisationen regional erfahren?
Stina-Katharina Treseler: Die Resonanz auf unser Projekt ist sehr gut. Wir haben regionale und überregionale Anmeldungen und nur noch einzelne freie Plätze in den Weiterbildungsmodulen. In den Gesprächen mit den Teilnehmenden haben wir die Rückmeldung erhalten, dass das Thema Digitalisierung in den Organisationen gewünscht und gesetzt ist, es jedoch bisher keine Weiterbildungsmöglichkeiten gab. Darüber hinaus besteht ein großes Interesse an dem Zertifikat, welches nach jedem bestandenen Modul für die Teilnehmenden mit den entsprechenden Creditpunkten (ECTS) ausgestellt wird. Insgesamt ist das wissenschaftliche Weiterbildungsangebot T-Nugd mit 11 europäisch anerkannten Creditpunkten (ECTS) ausgewiesen. Diese sollen in dem berufsbegleitenden Bachelorstudiengang „Berufspädagogik und Management in der Pflege“ (BMP) der Ostfalia angerechnet werden können.
Danke für das Gespräch und viel Erfolg für Ihr 2. Projektjahr!